Der Tag grünt
Vorwort zu Erika Rauschning
Erika Rauschning wurde in Stralsund geboren. In Dresden begann sie an der Kunstakademie ihr Studium, bevor sie 1953 nach Osnabrück übersiedelte, wo sie bis zum heutigen Tage wirkt. Die Tatsache, dass Oskar Kokoschka in den 20er Jahren an der Dresdener Akademie gelehrt hat, mag sie schon 1959 nach Salzburg an die dort von Kokoschka gegründete Sommerakademie gezogen haben. In dieser "Schule des Sehens" hat sie ihre Aquarelltechnik vervollkommnet, die sie souverän beherrscht. Eine große Anzahl von Landschaften, Stillleben und Blumenbildern zeugt davon.
In den letzten Jahren hat Erika Rauschning in Salzburg bei Rudolf Hradil in Radiertechnik gearbeitet und sich bei Aric Brauer mit der Technik "altmeisterlicher" Malerei auseinandergesetzt.
Aus den Gedichten und den Aquarellen, von denen einige in diesem Band abgedruckt sind, wird die Doppelbegabung der Künstlerin deutlich.
Ihre Schöpfungen in den beiden so unterschiedlichen Kunstgattungen - der Poesie und der Malerei - sind in gleicher Weise gelungen. Dennoch nehmen die Gedichte keinen unmittelbaren Bezug auf die Bilder, es gibt kein Aquarell, das ein Gedicht illustriert. Übereinstimmung besteht aber in der Vielfalt der Themen, in der sich in gleicher Weise die eindringliche Beschäftigung mit allen Aspekten menschlichen Lebens, mit der Isolation des einzelnen und der Konfrontation mit den Zuständen der modernen Gesellschaft spiegelt. Eine ebenso große Rolle spielt aber auch die Darstellung "natürlicher" Dinge in größeren Zusammenhängen oder in Ausschnitten, in Landschaften oder in Stillleben. Kraftvolle Striche und zarte Flächen fügen sich ineinander, so wie auch in der Sprache der Gedichte Härte und Zartheit ineinander verwoben sind.
Der Tag grünt
Wie ein Ruf geht die Farbe
in den Sommer
Ins Licht gerückt
Es ist alles
wie ein großer Abend
ohne Morgen
ohne Mittag
ohne Nacht
Das wolltet ihr doch wissen
womit ihr noch
zu rechnen habt
Könnte doch sein
Könnte doch sein
dass ich der einzige wäre
dass sich an mir eine Wendung
vollzöge eine Einsicht
die vorher nicht einsehbar war
Könnt doch sein dass sich alle vor mir
und neben mir geirrt hätten
die da sterben und sterben
Könnte doch sein
dass ich der einzige wäre
der nicht stürbe
und weiterlebte
mit einem uralten Gesicht
das langsam zu Stein würde
und gerade das
wäre ich dann
schon lange nicht mehr
und darum
Meine Stirn lehnt gegen die Welt
Freude schöner Götterfunke
Es ist immer noch der Morgen
Philipp Otto Runges
und die Waldung
Caspar David Friederichs
und das Grün der Wiese
aus meinem ersten Tuschkasten
Poet
Ein Poet
ein Fantast
schon sein Name ist anrüchig
Aber keiner sieht aus dem Auge
des Fisches der Krähe
der Taube der Fledermaus
zugleich
wie er
Ich gehe die Hügel entlang
bis zu der Stelle
wo der Wind mich auftreibt
zu Bildern und Geschichten
Tipp
Grün
Grünes an den Hut
zu stecken
das gibt es demnächst
auf dem Mond zu kaufen
in nostalgischen Läden
dann wenn die Erde verwüstet ist
und grünt nicht mehr