Malerei und Lyrik

Seh -Schritte 
Erika Rauschning: Malerin und Lyrikerin

Wenn man Stralsund kennt, versteht man die dort geborene Erika Rauschning: Spröde Glut kann da oft der Himmel ausstrahlen, den Blick beengt nichts, aber wehrhafte Backsteingotik setzt Maße. Es herrscht eine winddurchwehte Ordnung, Erde und Erdflüchtigkeit verbinden sich. Osnabrück ist von all dem gar nicht so weit ab, wurde neue Heimat.

 

Auf solche vertiefte Weise beobachte ich den Weg dieser zwiefachen Begabung, wobei mir die Lyrik weniger von leidenschaftlichem und doch zartem Farbmut und von bewegten Konturen 'weiblich' erscheint als die Aquarelle, die länger schon mir und noch immer der Mittelpunkt der bildnerischen Arbeiten von Erika Rauschning zu sein scheinen. 

 

Der zweite Band, der Bilder und Texte zusammen, nebeneinander, aber nicht gewollt aufeinander abgestimmt vorstellt, zeigt die Vorlieben abermals für Stillleben und damit Farbmeditationen, zeigt aber auch das Angehen von Menschenwelt da, wo sie sich bewegend und bewegt über Umrisse und Festigkeiten hinauswagt und Tanz der Glieder, Gewänder, Tanz von Licht im Lichtspektrum dem Beschauer anbietet. Für mich ist in diesem neuen Band allerdings-gegen meine eigene Erwartung, da ich die Landschaften Erika Rauschnings sehr bejahe-das 'Gesicht einer Frau' besonders fesselnd. Die gefasste Zartheit, die gewachsene Schwermut, eine reife Einsamkeit, sie 'erzählen' in den verhaltenen gebrochenen Wasserfarben. Dies Bildnis haftet! 

 

Seh-Schritte vorwärts, hinein in die Dimension von Bild und Hinterbild, in das Zweifache des Erschauten und Ermalten, scheint mir Erika Rauschning zu machen. Und die Gedichte, schon seit Beginn der Publikationen 1977, bleiben, ja wachsen weiter aus zu FundsteIlen einer eigenen Sprache und Bildhaftigkeit. Wie schwer das für uns von Tradition und Experimenten Angekränkelte, für uns Lyriker-Hamlets ist, weiß jeder Schreibende. 

 

Ich atme auf, dass ich hier keine Kopien in Kürze oder Länge, in Thematik oder Wortwahl finde. Gerade der Eigensinn der Schreiberin lässt auch in diesen neuen Proben so manches hart, rissig, offen bleiben und macht es keinem leicht, sich hier in ein Melos und eine Harmonie einzurollen. Zeitkritik, das Sich-Nichts-Vormachen unserer Lage bei aller Lebensneugier und allem Schönheitsstaunen, bei aller Daseinsliebe begleiten diese Texte und machen sie auf ihre Weise farbgebrochen. Mag sein, dass aus dem Lebensalter und der Reife der Lyrikerin heraus `Kindheit` sehr anrührt, dass die 'Dichter-Passagen' ganze Skalen von Sein und Bedrohung dieses Metiers abschattieren. Im Kern bleibt abermals der positive Seh-Schritt zu dem, was alles trägt: 'Das nicht einzufangende Machen holt uns niemand von der Zunge!' Und: 'ins Licht gerückt.. ist alles wie ein großer Abend'. Erika Rauschning weiß ihn zu nutzen, bezieht Südliches und Nördliches ein. Vor dem Tod 'wachst du um dein Leben' - in solcher Wachheit ohne Panik und in fast heiterer, konzentrierter Gefasstheit arbeitet Erika Rauschning mit den Farben und mit den Worten. Das ist glaubwürdig. 

 

Dr. Inge Meidinger-Geise 

Präsidentin der Europäischen Autorenvereinigung "Die Kogge“