Lyrik
Freiräume-
Gedichte und Bilder
Ein Gedicht ist ein fragiles und unwägbares Gebilde. Ungestützt durch das Gerüst einer erzählten Handlung und ohne die ergänzende Gegenstimme im Dialog des Dramas, muss es auch auf fiktive "Helden" verzichten. Es sagt immer nur sich selbst aus. Erika Rauschning bekennt in ihrem Gedicht" Schneewittchen": "Ich weiß über gar nichts zu berichten als über mich selbst." Damit birgt die Lyrik aber auch die Gefahr, in reiner Subjektivität zu erstarren und zur sterilen Selbstbespiegelung zu werden, wo von viele Büchereien und Verlagsbestände ein beredtes Zeugnis ablegen können.
Gute Gedichte - wie die von Erika Rauschning gehen in der Selbstaussage dennoch über die Ich-Position weit hinaus. In ihren Worten ebenso wie in ihren Freiräumen geben sie dem Leser Gelegenheit, seine eigenen Erfahrungen einzubringen und mit dem Autor auf eine Weise identisch zu werden, die beiden gerecht wird.
"Auf den Klippen steht jeder und schreit aus seiner Welt", sagt Erika Rauschning. Und sie weiß, dass es darauf ankommt, den eigenen Aufschrei mit dem der vielen kongruent und für alle gültig zu machen. Trotzdem bleibt in dieser Objektivierung das original Persönliche unverwechselbar erhalten.
Ihre Gedichte haben ein breit gestreutes Spektrum und sind in ihrer Dichte und Straffheit offen für alle Variationen einer immer wieder wechselnden Erfahrungswelt. Hier hat die reine Poesie wie in" Spanische Impressionen" ebenso ihren angestammten und legalen Platz wie die Kritik und Warnung vor einer entseelten Zweckwelt, die in "Perspektiven" bereits die Zerstörung vorprogrammiert hat. Auch satirische Töne fehlen da nicht.
Jedes echte Gedicht hat neben seinem rhythmischen Klangcharakter auch eine optische Wirkung. Der Leser muss sie freilich erst hineinprojizieren, denn sie ist nur unterschwellig vorhanden. Erika Rauschning, die künstlerische Doppelbegabung, kommt ihm in diesem Prozess zu Hilfe. Obwohl die in diesem Buch vorgelegten Aquarelle keine " Illustrationen" zu den Gedichten und thematisch wie atmosphärisch eigenständige Schöpfungen sind, bilden sie die nahtlos passende Kulisse zu den Versen, das Gegenüber, das in Form und Farbe die verbale Aussage bekräftigt und modifiziert.
In sicheren, aber nie harten Strichen und unaufdringlichen, miteinander korrespondierenden Farben präsentieren sich erdachte und erschaute Landschaften, Stillleben, Blüten, Tanzszenen. Gedichte auch dies, nur mit anderen Mitteln, in veränderter Perspektive, aus der Wortwelt auf die Netzhaut übertragen.
Margarete Kubelka, Autorin